Bürgerrat Klima: Disruption in allen Sektoren
Bürgerrat Klima: Disruption in allen Sektoren

Bürgerrat Klima: Disruption in allen Sektoren

Wie der erste bundesweite Bürgerrat Klima die Klimawende schaffen will

Rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2021 sollte es soweit sein: Ein erster deutschlandweiter Bürgerrat Klima übergibt seine Ergebnisse der Öffentlichkeit und den Parteien. So lautete die Forderung von Scientists for Future im Dezember 2020.

Von April bis Ende Juni 2021 tagten 160 zufällig ausgeloste Bürger:innen abends und an Wochenenden in insgesamt 12 Sitzungen. Dabei wurden sie von einem wissenschaftlichen Kuratorium beraten. Anders als in Frankreich, wo ein Klimarat von Präsident Emmanuel Macron eingerichtet wurde, hatte das deutsche Pendant keinen staatlichen Auftrag.

Ende Juni endete das Projekt mit der Vorstellung der Ergebnisse. Die Bürger:innen sind sich einig: Die oberste Priorität besteht darin, das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen einzuhalten.

Die Bürger:innenräte verständigten sich im Wesentlichen auf die folgenden Ergebnisse:

Schnellerer Umstieg auf erneuerbare Energien

Die Energieversorgung Deutschlands soll bis 2035 zu 70% und zum Jahr 2040 zu 90% aus erneuerbaren Quellen kommen. Der Stromsektor soll bereits in vier Jahren vollständig klikmaneutral sein – bei einem Kohleausstieg bis 2030 (statt wie geplant erst im Jahr 2038).

Die Bundesländer sollen verpflichtet werden, mindestens 2% ihrer jeweiligen Flächen zur Verfügung zu stellen, um Windenergie und Photovoltaik auszubauen. Eine weitere Empfehlung der Bürger:innen: Neubauten sollen schon ab 2022 generell mit Photovoltaik-Anlagen ausgestattet werden.

Und ganz wichtig – gerade für Klimaentscheid-Teams wie uns: Alle Kommunen sollen ihre Bürger:innen beteiligen und bis 2023 einen Plan zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2030 entwickeln.

Der Bürgerrat empfiehlt außerdem, die dezentrale Energieversorgung und Energiegenossenschaften zu fördern. Um Treibhausgase der Atmosphäre zu entziehen, plädiert der Rat für natürliche CO2-Speicher wie die Wiedervernässung von Mooren und die Aufforstung von Wäldern. Die Speicherung in tiefen Gesteinsschichten (Carbon Capture and Storage, kurz CCS) lehnt er aber mehrheitlich ab.

Energie sparen – mehr sanieren

Die energetische Sanierung von Gebäuden und die Wärmewende sollen schneller stattfinden. Bis zum Jahr 2036 sollen alle öffentlichen Gebäude energetisch saniert sein. Die Kosten der Sanierung von Wohngebäuden sollen nach Wunsch des Bürgerrats zu 70% vom Bund und Kommune getragen werden. Auf die Wohnungseigentümer:innen entfallen demnach 20%, auf die Mieter:innen die restlichen 10%. Ab 2026 bzw. 2028 soll es verboten sein, neue Öl- und Erdgasheizungen einzubauen.

Höhere Investitionen in ÖPNV, Rad und Schienennetz

Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sollen teilweise vom Straßenbau in den Ausbau von Schienentrassen und den Radverkehr umgeschichtet werden. Der öffentliche Nah- und Personenverkehr soll attraktiver und billiger werden. Die Erstzulassung für Verbrenner-Pkw wäre nur noch bis 2030 erlaubt. Eine – mit 58% allerdings eher knappe – Mehrheit der Bürger:innen im Rat stimmte für ein Dreifach-Tempolimit: 120 km/h auf Bundesautobahnen, 80km/h auf Landstraßen und 30km/h in Innenstädten.

Zu den weiteren Vorschlägen in puncto Mobilität gehören auch, dass Kurzstreckenflüge vermieden werden sollen. Preise für Flugtickets sollen in Zukunft die realen Klimakosten abbilden. Dafür soll die Kerosinsteuerbefreiung aufgehoben und die Luftverkehrssteuer erhöht werden. Die übrig bleibenden Flüge sollen nach Ansicht des Rats zukünftig statt mit Kerosin mit synthetischen Kraftstoffen stattfinden.

Neuerungen in Landwirtschaft und Ernährung

Ein klares Votum des Rats: Die Landwirtschaft und der Ernährungssektor sollen bis 2030 klimafreundlich werden, wobei sich eine entsprechende Gesetzgebung auch hier am 1,5-Grad-Limit orientiert. Die Lebensmittelverschwendung und die Überproduktion von Nahrungsmitteln in Deutschland – z.B. von Fleisch – gilt es zu verringern. Der Vorschlag: Nutztierbestände werden so weit reduziert, dass sich die Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung mindestens halbieren. Wenn alles nach den Plänen des Bürgerrats läuft, soll eine sogenannte Klima-Ampel-Kennzeichnung für Lebensmittel bis 2030 eingeführt werden. Gleichzeitig will der Bürgerrat Werbung für klimaschädliche und ungesunde Produkte verbieten, die vor allem auf Kinder zielt.

CO2-Preis – was tun mit den Einnahmen?

Ein zentrales Instrument zum Einhalten des 1,5-Grad-Ziels sieht der Bürgerrat im CO2-Preis, der auf fossile Energieträger erhoben wird. Über die Einnahmen und deren Verwendung soll jährlich in einem öffentlich-rechtlichen Klimabericht informiert werden. Wie werden die Einnahmen verwendet? Darüber hat der Rat kontrovers diskutiert: 40% sind dafür, mit dem Geld klimafreundliche Infrastrukturen auszubauen. Knapp 30% plädieren für eine direkte Rückerstattung an die Bürger:innen als Klimadividende oder Pro-Kopf-Pauschale. Knapp ein Viertel (22%) befürworten es, die Einnahmen für die Erforschung und Entwicklung klimaneutraler Technologien zu verwenden. Der Favorit: Die Kombination aus allen drei Optionen erhielt mit 93% die größte Zustimmung.

Und jetzt?

Am 24. Juni stellte der Bürgerrat Klima seine Ergebnisse der Öffentlichkeit und den Medien vor. Die Empfehlungen des Bürgerrat Klima werden nun mit Unterstützung des wissenschaftlichen Kuratoriums in einem Bürgergutachten überführt und allen Parteien im Bundestag übergeben.

Die bisherige Resonanz in den Medien und bei den politischen Parteien war eher spärlich. Enttäuschend angesichts der großen Bedeutung, die dem erste Bürgerrat Klima auf Bundesebene zukommen sollte.

Bis Anfang Juli war online lediglich eine Stellungnahme von Politiker:innen zu finden: Nur Lisa Badum, Sprecherin für Klimapolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, äußerte sich zum Bürgerrat: „Wir haben den Bürgerrat Klima auch schon zum Austausch in Fraktionsgremien eingeladen. Wir nehmen die Empfehlungen des Bürgerrats Klima sehr ernst und wollen sie in politische Handlungen übersetzen.” Ihrer Aussage folgend ist es unabdingbar, “sofort ins Machen zu kommen”, um das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen zu können.

Was bedeutet das für uns in Sachsenheim?

Auf kommunaler Ebene steht für uns außer Frage, dass wir mit Hochdruck und großem Engagement handeln müssen. Die verschiedenen kommunal geplanten bzw. gestarteten Klima-Bürger:innenräte stoßen hoffentlich auf mehr Gehör. Auch in Sachsenheim wollen wir Bürger:innen am Weg zur Klimaneutralität beteiligen. Wie das funktionieren soll? Erfahre mehr in einem unserer vorangegangenen Blogartikel.