Wie unser Wald 2100 aussehen wird
Wie unser Wald 2100 aussehen wird

Wie unser Wald 2100 aussehen wird

Ein Interview mit unserem Fachbereichsleiter Wald im Landkreis Ludwigsburg Dr. Michael Nill

Bei einem Spaziergang im Sachsenheimer Wald, genauer: in Hohenhaslach am Baiselsberg, habe ich Herrn Dr. Nill und seine beiden Trainees interviewt. Direkt zum Einstieg interessiert mich: Wie sieht ein gesunder Wald aus?

„Ein gesunder Wald, gesunde Bäume, ein gesundes Ökosystem; ein Wald ist ja mehr als nur die Bäume. Dazu zählen auch der Boden sowie Pflanzen und Tiere insgesamt. Die Gesundheit eines Waldes hängt heute immer mit den Auswirkungen des Klimawandels zusammen, die wir hier im Wald auch schon merken. Dabei kommt es sehr auf die verschiedenen Baumarten an.“

Vor allem die drei Dürrejahre 2018, 2019 und 2020 setzten auch den Wäldern hier im Landkreis zu. Herrn Dr. Nill zufolge kosten die Schäden des Klimawandels schon heute Geld:

„Die Absterbe-Erscheinungen, vor allem bei den alten Buchen und Eichen und allgemein den alten Bäumen, sind durch die drei Dürrejahre verursacht. Wir gehen davon aus, dass das Vorboten des Klimawandels sind – es geht also auf das Konto des Klimawandels. Es kostet viel Geld, die Bäume zu fällen, da diese Arbeiten für Waldarbeiter sehr gefährlich sind. Außerdem ist das Holz meistens schon so beschädigt, dass es kaum noch Geld bringt. Bei den Dürreschäden gibt es auf jeden Fall einen Zusammenhang zum Klimawandel.“

Die Gesundheit des Waldes ist durch Extremwetterereignisse, Früh- und Spätfröste sowie Temperaturschwankungen in beide Richtungen stark von den Folgen der Klimakrise betroffen. Wichtig ist dabei die Frage, welche Baumarten im Wald stehen. Die resilienteste und widerstandsfähigste Waldform ist der Mischwald: Hier stehen viele verschiedene Baumarten. Das Risiko eines Waldsterbens, wenn etwa eine Baumart klimabedingt oder wegen Schädlingsbefalls ausfällt, sinkt. Außerdem wird in einem Mischwald mit verschiedenen Konzepten und örtlicher Expertise von den Förster:innen versucht, den Klima-, Arten- und Naturschutz unter einen Hut zu bringen.

Auf die Baumart kommt es an

Etliche heimische Nadelbäume haben Probleme mit der Veränderung des Klimas und werden sich zukünftig wahrscheinlich noch schwerer tun:

  • Fichte
  • Waldkiefer
  • Lärche
  • Weißtanne

Doch es gibt auch Bäume, die sich mit der Veränderung des Klimas wahrscheinlich leichter tun, dazu gehören:

  • Eiche – besonders wichtig für den Naturschutz, da Eichen von vielen Insekten bewohnt werden
  • Hainbuche
  • Feldahorn
  • Elsbeere
  • Flatterulme, vor allem in Rinnen an feuchten Standorten
  • Douglasie – Spitzenreiter in der CO2-Aufnahme aufgrund ihres schnellen Wachstums
  • Kirsche

Vielfalt schafft Resilienz

Der Sachsenheimer Wald am Baiselsberg ist ein klassischer Eichenmischwald. Hier stehen ca. 80 Jahre alte, also mittelalte Eichen als dominante Baumart im Waldbestand. Die Hainbuche beispielsweise ist hier häufig als sogenannte dienende Baumart zu sehen. Die dienende Baumart wird jünger gehalten, damit sie den Stamm der Eichen vor Sonne schützen kann. Weil es sich um einen Mischwald handelt, der recht klimaresilient ist, ist die Klimakrise im Sachsenheimer Wald noch vergleichsweise wenig zu  spüren. Und das liegt vor allem an den Baumarten: „Beides sind Baumarten, bei denen wir große Hoffnungen haben, dass diese mit den schwierigen Bedingungen zurechtkommen, die wir für das Jahr 2100 erwarten“, erklärt Dr. Nill. „Sicher sein kann man sich leider nicht. Aber sowohl die Eiche als auch die Hainbuche sind Bäume, von denen die Wissenschaft heute davon ausgeht, dass sie diese schwierigen Verhältnisse überstehen müssten. Insofern sind wir hier gut aufgestellt: Die Bäume sollten die nächsten 100 Jahre überstehen“.

Das Problem: „Es gibt keine Region der Erde, die jetzt das Klima hat, das wir für das Jahr 2100 erwarten. Das heißt, hohe Durchschnittstemperaturen, vermutlich langanhaltende Trockenperioden im Sommer und trotzdem kalte Winter, dazu kommen Früh- und Spätfröste. Die Spätfröste sind besonders ärgerlich, da zum Beispiel Bäume aus mediterranen Gegenden mit den anderen Klimaverhältnissen zwar wahrscheinlich gut auskommen , aber durch den Spätfrost sterben würden. Deshalb fördern wir heimische Arten und Mischwälder.“

Zukunftsbäume

Während des Spaziergangs durch den Wald sehen wir weitere heimische Baumarten, die gute Prognosen für das sich verändernde Klima haben, wie beispielsweise die Elsbeere, der Feldahorn oder die Kirsche. Sie wurden nicht von Förster:innen gesät oder gepflanzt, sondern konnten durch Tiere oder Selbstvermehrung dort wachsen. „Die Natur selbst gibt uns schon verschiedene Baumarten, mit denen wir arbeiten können.“

Zur alltäglichen Arbeit der Förster:innen gehört es, einzelne Bäume zu fördern – vor allem solche, die dazu beitragen einen gesunden Mischwaldbestand zu garantieren, der möglichst klimaresilient ist, die gesund und vital sind sowie qualitativ hochwertig mit wenig verzweigten Bäumen, um eine kreislaufartige Wirtschaft zu ermöglichen, in der der gefällte Baum weiterverarbeitet und am Ende seiner Lebenszeit verfeuert wird. Diese Bäume werden als Zukunftsbäume (Z-Bäume) beim Wachstum unterstützt und mit grünen Punkten gekennzeichnet.

Hoffnungsträger Baumhasel

Neben den Zukunftsbäumen werden sogenannte Alternativbäume getestet. Alternativbaumarten sind Bäume, von denen aufgrund der heimischen Bedingungen vermutet wird, dass sie wahrscheinlich klimaresilient sein werden. Im Jahr 2019 verwüstete der Sturm Sabine eine Fläche des Waldes am Baiselsberg, auf der Fichten standen. Hier wird jetzt die Alternativbaumart Baumhasel neben Eichen angepflanzt und beobachtet. Die Baumhasel kommt ursprünglich aus der Türkei sowie dem Balkan und kann in ihren Heimatregionen trockene, heiße Sommer ertragen. Jetzt wird die Baumhasel im Landkreis Ludwigsburg getestet und beobachtet. Das hat zum Beispiel Forstamt-Trainee Julian Seybold in seiner Bachelorarbeit über Alternativbaumarten getan:
„Man merkt es nicht so schnell, sondern muss einfach ausprobieren, welches Pflanzmaterial aus welcher Region sich an welchem Standort und Boden eignet. Die Testphase der Baumhasel ist hier angelaufen. Die nächsten Jahrzehnte werden Erkenntnisse darüber liefern, ob die Baumart erfolgreich ist oder nicht.“

Eine gute Dokumentation der Bäume ist deshalb für nachfolgende Förster:innen sehr wichtig, damit die Baumarten, die mit dem sich wandelnden Klima gut funktionieren, wieder gepflanzt werden können.

Waldrefugien schaffen Lebensräume

Neben dem Testen und Fördern von Bäumen wird in Waldrefugien, das sind Waldabschnitte, die der Natur überlassen werden, Prozessschutz betrieben. Die Förster:innen beobachten, was von Natur aus dort passiert. Die biologische Automation wird genutzt und mit der Natur gearbeitet, um natürliche Prozesse beobachten und nutzen zu können. Waldrefugien sind außerdem wichtig für Insekten, um beispielsweise auch im Totholz Populationen aufzubauen. Das Übersiedeln von Populationen geht über Habitatbäume (gekennzeichnet durch grüne Wellen), die im bewirtschafteten Wald stehen, aber nicht gefällt werden: „Die Arten, die im Waldrefugium leben, sollen im gesamten Wald verbreitet werden. Habitatbäume sind Trittsteine, die stehen gelassen und alt werden. Auf ihnen können sich Insekten verbreiten.“

Insgesamt steht es also recht gut um den Sachsenheimer Wald am Baiselsberg: Zukunftsbäume werden gefördert, Alternativbäume untersucht, getestet und beobachtet und Insekten durch Waldrefugien in stabilen Populationen gehalten. Auf dem Spaziergang sehen wir außerdem drei große Ameisenhügel der roten Waldameise, die auf der Liste für gefährdete Tiere steht, und wir hören Spechte und Kolkraben: „Kolkraben sind auch etwas Besonderes. Sie brüten hier im Kirbachtal. Bis vor 10-15 Jahren waren es noch seltene Vögel, jetzt sieht man sie hier öfter.“

„Das Dilemma der Forstwirtschaft ist, das wir nicht wie in der Landwirtschaft jährlich sähen und ernten. Wenn wir hier einen Baum pflanzen, werden wir nicht mehr erleben, ob das ein großer Baum wird. Diese generationenübergreifende Arbeit prägt die Forstwirtschaft. Und daher ist der Klimawandel für uns auch schon omnipräsent. Das Jahr 2100 ist unsere Arbeitsgrundlage. Denn die Bäume hier müssen das alles überleben können.“

Dr. Nill bringt die grundlegende Herausforderung der Forstwirtschaft auf den Punkt

Nachhaltigkeit – eine Idee der Forstwirtschaft

Das Konzept der generationenübergreifenden Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Hans Carl von Carlowitz prägte den Begriff der Nachhaltigkeit, indem er das Prinzip forderte, nicht mehr Holz zu schlagen, als wieder nachwachsen kann. Daran orientieren sich auch Dr. Nill und seine Kolleg:innen: „In unserem Kontext geht es um generationenübergreifende Gerechtigkeit: Wir denken jetzt schon an zukünftige Generationen. Denn das was wir hier im Wald machen, nützt uns selbst gar nichts. Aber wir wiederum profitieren davon, was unsere Vorgänger uns hinterlassen haben. Wir möchten den kommenden Generationen dasselbe bieten. Das sind natürlich gerade schwierige Zeiten, da wir nicht wissen, was der Klimawandel macht und mit welchen Baumarten unsere Nachfolger am besten umgehen können, wo die geringsten Risiken liegen. Der andere Punkt zur Nachhaltigkeit ist der, dass wir nicht mehr aus dem Wald herausholen, als nachwächst. De facto holen wir sogar weniger raus, als nachwächst.“

Die Waldinitiative Ludwigsburg erreichte seit der Gründung im Jahr 1997 eine Waldvergrößerung um 31 Hektar.

Warum wir den Wald brauchen

Der Wald hat viele verschiedene Funktionen – für die Natur und für uns Menschen: die Nutz-Schutz-Erholungs-Funktion und die Klimaschutzfunktion, die zwischen Nutzung und Schutz des Waldes steht.

Die Nutzfunktion beschreibt das Wirtschaften mit Holz. Der Wald im Landkreis Ludwigsburg wird nachhaltig bewirtschaftet. Mit der Nutzfunktion geht die Klimaschutzfunktion einher. Denn das Holz ist nicht nur im Wald wertvoll, sondern auch als Rohstoff. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass das Holz aus einer lokalen und nachhaltigen Holzwirtschaft kommt. „Wichtig ist bei uns im Wald, dass man den Substitutionseffekt nutzt. Jeder Baum kann im Wurzelwerk und im Stamm unterschiedlich viel CO2 speichern. Das ist der Waldspeicher. Aber den wirklichen Effekt sieht man erst, wenn man den Baum z. B. fällt und als Feuerholz nutzt, anstatt fossile Energien zu nutzen. Dann habe ich eine thermische Substitution. Ähnlich bei einem Holzhaus: Wenn ich Holz anstatt Beton verwende, habe ich richtig viel CO2 eingespart.“

Beim CO2-Speichern ist die Douglasie der Spitzenreiter. Insgesamt speichern deutsche Wälder pro Jahr 127 Millionen Tonnen CO2 und tragen somit erheblich zum Klimaschutz bei. Im Wald geht es aber um mehr als den gespeicherten CO2-Gehalt: Es geht um ein gesundes und intaktes Ökosystem, das so resilient wie möglich gegen die Folgen des Klimawandels ist.

Aus diesen Gründen ist die Schutzfunktion, der Natur- und Artenschutz, umso wichtiger. Mischwälder, geschützte Waldgebiete wie beispielsweise Waldrefugien sowie ein achtsamer Umgang mit und im Wald tragen zu mehr Artenvielfalt und Naturschutz bei.

Der Wald lehrt uns Rücksicht

Deshalb ist es besonders wichtig, dass sich Waldbesucher:innen korrekt verhalten. Das bedeutet auch achtsam zu sein, keinen Müll liegen zu lassen und keine Pflanzen auszugraben. Aufeinander Rücksicht zu nehmen spielt im Wald eine große Rolle, denn hier kommen viele verschiedene Menschen bei unterschiedlichen Aktivitäten zusammen wie Wandern, Spazieren gehen, Mountainbike fahren und mehr.

„Der Wald ist ein wichtiger Naherholungsraum. Jeder ist hier herzlich willkommen. Die Grundregel dabei ist, man soll sich so verhalten, dass man die anderen in ihrer Erholung und das Ökosystem Wald nicht stört. Auch aus diesem Grund sind Umweltbildung und-Pädagogik sehr wichtig“, sagt Herr Dr. Nill. Im Wald am Baiselsberg entsteht deshalb dieses Jahr ein neues Projekt: ein Schulwald mit der Kirbachtalschule. Schüler:innen lernen durch das gemeinsame Projekt viel über den Wald und die im Wald praktizierte Generationengerechtigkeit.

„Eine Runde im Herbst zum Aufräumen und zur Kulturvorbereitung und im Frühjahr werden in einer zweiten Runde Eichen von den Schülern gepflanzt und gepflegt“, berichtet Dr. Nill. „Das ist eine super Sache, weil die Schüler  etwas Konkretes machen können, aber auch sehen, was aus ihren Aktivitäten wird. Und sie erkennen den generationen- und klassenübergreifenden Aspekt sehen. Denn die eine Klasse macht etwas, eine andere Klasse baut darauf auf – so entsteht der Wunsch, das Waldstück gut zu übergeben.“

Apropos Bildung: In Freiburg gibt es die Möglichkeit Forstwissenschaften zu studieren, Praktika bei der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg zu absolvieren oder an Bildungsprojekten des Landkreises Ludwigsburg teilzunehmen, vor allem für Kinder und Jugendliche.

Der Wald ist sehr facettenreich und komplex. Er stellt eine wichtige Stellschraube für eine klimafreundlichere Welt dar. Wer Fragen hat, kann sich  jederzeit an die Förster:innen oder das Forstamt vor Ort wenden gewandt werden. Wie in allen Bereichen spielt auch hier eine offene Kommunikation eine große Rolle.

Abschließend bedanke ich mich herzlich bei Dr. Nill und den beiden Trainees des Forstamts Julian Seybold und Tim Weidmann, die mir in über 90 Minuten so viel über den Wald erklärt haben.